Ankommen

Da wir an einem Samstagabend ankommen, ruhen wir uns am darauffolgenden Sonntag erst einmal von der langen Reise aus. Die Köchin und Haushälterin des Doctors House, Monika, bereitet uns ein Frühstück aus frittierten Reisbällchen zu, die wir mit der in Songea gekauften Haselnusscreme verspeisen. Tim, Ulrike und die vierte im Bunde, die auch Sara heißt, zeigen mir danach bei einem Spaziergang das Dorf Liuli. Wir beginnen am Strand, der vom Doctors House in einer Minute Fußweg über einen tropisch bewaldeten Trampelpfad erreichbar ist. Ich trage als einzige offene Schuhe und Sara bietet mir mit einem Schmunzeln an vorauszugehen und die Schlangen zu vertreiben, aber ich glaube so häufig sind Schlangenbisse hier auch nicht. Der Lake Nyasa oder auch Malawisee hat aufgrund seiner Größe einen leichten Wellengang und das Ufer ist an unserem Abschnitt sehr malerisch mit kleinen rundlichen Felsen, Wassergras und der Sphinx, einer Steinformation, die etwa 50 Meter vom Ufer entfernt aus dem Wasser emporragt und wirklich ein bisschen wie eine Sphinx im Profil aussieht. Tim erinnert mich wieder daran, dass Liuli unter deutscher Besatzung Sphinxhafen hieß. Von dem Hafen zeugen nur noch die verrottenden Holzpfeiler des ehemaligen Stegs, aber man sagt mir, dass hier weiterhin einmal wöchentlich ein Boot anlegt, das Passagiere in den Norden des Sees transportiert.

Am Strand befindet sich auch Joseph’s Paradise, eine wunderschöne Anlage von Bungalows zur Übernachtung und einer Strandbar inmitten von Palmen und verschiedenen buntbelaubten Sträuchern, die ganz offensichtlich mit sehr viel Liebe angelegt wurde. Tim kennt Joseph noch von seiner letzten Tansania-Reise und fragt ihn, wann denn die letzten Gäste da gewesen sind. Im Februar, sagt Joseph, und es könnte daran liegen, dass seine Unterkunft nicht über das Internet gebucht werden kann und Liuli nicht gerade der Nabel der Welt ist. Tim bietet ihm natürlich umgehend an, beim Erstellen des Internetauftritts behilflich zu sein.

Danach schlendern wir in Richtung Ortskern. Es dauert nicht lange, da kommen wir an den ersten Maniokfeldern vorbei. Maniok ist ein Wurzelgewächs, aus dem die Tansanier den Ugali herstellen, einen sehr nahrhaften Stärkebrei. Die meisten Bewohner:innen Liulis sind Landwirt:innen. Wieder andere leben vom Fischfang im See. Ulrike und Sara haben allerdings im Krankenhaus gehört, dass es dort momentan sehr ruhig sei, weil der Fischfang nicht gut laufe und die Leute deshalb kein Geld haben um ins Krankenhaus zu kommen. Schließlich kommen wir auf die Hauptstraße und grüßen im Vorbeigehen die Bewohner:innen mit der typisch tansanischen Begrüßungsformel „Habari za asubuhi?“ (Nachrichten vom Morgen? Bzw. sinngemäß Wie geht’s an diesem Morgen?) – „Salama/ nzuri/ safi“ antworten uns die Dorfbewohner:innen (Friedlich/ prächtig/ gut). Gleichaltrige begrüßen wir mit „Mambo“ (Alles cool?) und sie antworten uns „Poa“ (Cool) oder „Fresh!“. Die Begrüßung ist im Swahili extrem wichtig. Ältere oder Menschen mit wichtigen Funktionen spricht man mit „Shikamoo“ an, die Reaktion darauf ist „Marhaba“ (Du hast meinen Segen). Die meisten begrüßen wir aber mit der Habari-Grußformel, sodass es beim Spazierengehen eine Menge salama, nzuri und safi auf uns regnet. Da wir die Hauptstraße nutzen (die übrigens nur aus staubiger Erde besteht, wie alle Straßen in Liuli), ziehen wir als Wasungu einige Aufmerksamkeit auf uns. Viele Kinder kommen freudestrahlend auf uns zu und winken begeistert. Manche rufen „Wasunguuuu!“. Die älteren Kinder sind etwas schüchterner, winken uns aber auch zu, nachdem wir sie grüßen. Die Jugendlichen kennen das schon, dass hier regelmäßig Weiße umherlaufen, denn es sind fast durchgehend Volontär:innen aus Europa in Liuli.

Das Krankenhaus

Das St. Anne’s Krankenhaus in Liuli ist mit circa 100 Betten ein kleines, aber aufgrund der schlechten Infrastruktur der Region ein sehr wichtiges Krankenhaus für die Bewohner:innen Ruvumas. Derzeit arbeiten zwei Ärzte zusammen mit einem Team aus Clinical Officers und Nurses zusammen. Es gibt ein analoges Röntgengerät, ein Ultraschallgerät, ein 3-Kanal-EKG (Standard in Deutschland ist das 12-Kanal-EKG, das heißt es gibt deutlich mehr Elektroden zur Ableitung der elektrischen Potentiale des Herzens), ein Labor, in dem ein Blutbild, eine Urinanalyse und Stuhlmikroskopie (Parasiten…), und die Schnelltests auf Malaria, Typhus und Helicobacter pylori (Verursacher des Magengeschwürs) durchgeführt werden können. Es gibt zwei rudimentär ausgestattete OP-Säle, weiterhin ein Outpatient Department (OPD), das mit einer Hausarztpraxis/ Notaufnahme gleichgesetzt werden kann, sowie eine HIV-Ambulanz. Die meisten Patient:innen werden aufgrund von Malaria, Typhus oder Unfallverletzungen behandelt, und auch die Geburtshilfe (Spontangeburt ebenso wie Kaiserschnitt) ist ein großer Schwerpunkt des Hauses. Die Behandlung von Malaria und HIV wird von der Regierung bezahlt, für alles weitere müssen die Patient:innen in der Regel selbst aufkommen, es sei denn sie gehören zu den wenigen Glücklichen, die einen festen Job im Dienste der Regierung und deshalb eine Versicherung haben, zum Beispiel Lehrer:innen, Ärzt:innen und Beamt:innen.

Am Montagmorgen stellen Tim und ich uns bei der Frühbesprechung vor. Wir werden herzlich von den Krankenhausmitarbeiter:innen begrüßt. Wir übergeben außerdem gleich unsere Geschenke, unter denen sich zum Beispiel eine Neugeborenenreanimationspuppe, Beatmungsmasken- und Beutel und insgesamt 19 kg Fachliteratur zu allen in Liuli wichtigen medizinischen Fachrichtungen befinden. Danach begleiten wir den Arzt Dr. Evans auf die Visite durch die geburtshilfliche Abteilung, die Frauen-, Männer und Kinderstation. Dr. Evans übersetzt für uns ins Englische, was die Patient:innen zu ihm sagen, und auch ins Swahili, wenn wir Fragen stellen möchten. Es macht richtig Spaß zusammen über Diagnostik und Therapien zu diskutieren und zu erfahren, wie es in im St. Anne’s Hospital so abläuft. Auf der „vorgeburtlichen“ Station treffen wir auf eine Patientin, die schon einige Tage über dem Termin ist und, so sagt man uns, über Rückenschmerzen klagt. Durch eine tiefergehende Anamnese finden wir gemeinsam heraus, dass die Patientin beim Wasserlassen ein Brennen verspürt. Wir verordnen zusammen eine Urinanalyse, die unsere Verdachtsdiagnose Harnwegsinfekt bestätigt, ein möglicher Grund für die verlängerte Schwangerschaft. Die Patientin bekommt ein Antibiotikum. In der Frauenstation wurde gerade erst eine Krankenhausmitarbeiterin mit starken Oberbauch- und Brustschmerzen aufgenommen. Ich schlage vor, ein EKG zu machen. Zuerst heißt es, es gebe keines, aber als wir bei dem Radiologie-Assistenten nachfragen, gibt er uns immerhin ein 3-Kanal-EKG – nicht optimal um einen Herzinfarkt zu erkennen, aber besser als nichts. Das EKG ist normal. Wir ziehen weiterhin ein Magengeschwür in Betracht, da die Patientin seit Jahren regelmäßig Diclofenac aufgrund von Wirbelsäulenschmerzen einnimmt. Dr. Evans verordnet erst mal Paracetamol und Tramadol zur Schmerzreduktion und ein Magenschutzmedikament zur Behandlung des vermuteten Ulkus. Wir machen noch einen Ultraschall vom Bauch und ein Röntgenbild, um eine Darmperforation auszuschließen, beide Untersuchungen sind unauffällig. Bei unseren stündlichen Kontrollbesuchen geht es der Frau schon deutlich besser. Auf der Männerstation liegen zwei Junge Männer, die gegen Typhus behandelt werden. Sie sind beide schon auf dem Weg der Besserung. Auf der Kinderstation macht uns eine Zweijährige mit hohem Fieber Sorgen. Sie hat Malaria und die Mutter erzählt uns, dass die Kleine zu Hause drei Krampfanfälle gehabt habe. Wir messen nochmal Fieber – 39°C – und bitten anschließend die Mutter das Kind aufzudecken, denn es ist in vier tansanische Kitenge eingehüllt. Wir lassen noch den Hämoglobinwert bestimmen (kurz Hb, der rote Blutfarbstoff), der bei 7,4 g/dl liegt. Die Kleine hat also eine Blutarmut, die durch die Malaria bedingt ist. Dr. Evans erklärt uns aber, dass im Moment noch keine Indikation zur Bluttransfusion besteht. Wir beschließen, den Hb morgen nochmal zu kontrollieren und ansonsten mit der bisherigen Malariatherapie fortzufahren. Am nächsten Tag sehen wir das Kind auf der Station umherlaufen und die Mutter ist sichtlich gut gelaunt. Die Malariatherapie hat also endlich angeschlagen! Wir kontrollieren den Hb nicht mehr, da das Kind schon eindeutig auf dem Weg der Besserung ist.

Unser Alltag

Sofern man nach einer Woche Aufenthalt in Liuli von einem Alltag sprechen kann, haben wir bereits Tagesroutinen entwickelt. Am Morgen nach dem Chai ya asubuhi gehen wir mit Dr. Evans auf die Visite, die meistens bis ca. 11 Uhr dauert. Danach sehen wir gemeinsam Patient:innen im Outpatient Department (OPD). Oft sind wir einer Meinung, was die Diagnostik und Therapie angeht, aber manchmal stelle ich fest, dass es schon große Unterschiede gibt, zum Beispiel in der Handhabung von Antibiotika. Während in Deutschland eine große Zurückhaltung in der Verwendung gelehrt wird, gehören Antibiotika hier zu einer guten Therapie dazu. Meistens werden sogar Breitbandantibiotika wie Ceftriaxon bevorzugt, die wir in Deutschland nur bei schweren Infektionen geben, damit sie dann noch eine gute Wirksamkeit haben und wir nicht mit Resistenzen kämpfen müssen (was eh schon oft genug der Fall ist). Wir diskutieren über die Fälle und tauschen unser Wissen aus, aber letztlich bin ich mir bewusst, dass wir hier nur Gäste sind. Der gegenseitige Austausch ist einer der wichtigsten Aspekte unserer Freundschaft. Ich lerne hier, wie ich den Bauch einer schwangeren Frau mit den Händen untersuche, um die exakte Lage des Kindes zu bestimmen. Da die Geburtshilfe hier so ein großer Schwerpunkt ist, können wir bei Spontangeburten und Kaiserschnitten assistieren. Ich für meinen Teil hatte abgesehen von den Vorlesungen und Seminaren im Fach Gynäkologie noch keine praktischen Einblicke in die Geburtshilfe, deshalb ist das für mich ganz wertvoll. Die Kaiserschnitte führt in Tansania übrigens der:die General Practitioner durch, in Deutschland der:die Gynäkolog:in.

Nach dem Mittagessen gehen wir meistens anderen Beschäftigungen nach, zum Beispiel laden wir die Dental Technician Joyce (Joyful) zum Tee ein, um die Ankunft der Dental Volunteers aus Deutschland vorzubereiten. Davon erzähle ich, wenn die Zahnärzt:innen dann in Liuli sind. Oder wir sprechen darüber, welche Projekte aus unserer Sicht gewinnbringend für das Krankenhaus wären und ob wir in der Lage sind sie umzusetzen. Wir informieren uns über Stiftungen, bei denen wir uns um Fördermittel bewerben können. Das Schreiben zählt auf jeden Fall zu meinen Lieblingsbeschäftigungen am Nachmittag. Pünktlich zum Sonnenuntergang gehen wir meist eine halbe Stunde im See schwimmen. Nach dem Abendessen geht jede:r bis zum Zubettgehen eigenen Beschäftigungen nach.