Die Anreise

Ich starte meinen Bericht in Dar Es Salaam, der Stadt, die, wie ich lerne, gar nicht (mehr) die Hauptstadt von Tansania ist, sondern das eher unbekannte Dodoma weiter im Landesinneren. Die wichtigste Stadt Tansanias ist Dar aber allemal aufgrund des großen Hafens, über den der Handel mit der ganzen Welt, aber besonders mit China betrieben wird. Alle Volontär:innen, die nach Liuli reisen, starten von hier aus.

Bevor wir von Dar in Richtung Liuli abreisen, möchte ich aber noch ein wenig von hier berichten. Die Stadt mit über fünf Millionen Einwohnern ist das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Tansanias, liest man auf Wikipedia, und es sollen 575 größere Industriebetriebe sowie mehrere Universitäten hier angesiedelt sein. Dennoch habe ich nach einigen Tagen Aufenthalt in Dar den Eindruck, dass die meisten Menschen hier trotzdem keine richtige Arbeit oder Schulbildung haben, sondern jeden Tag aufs Neue Geld durch Straßenverkäufe verdienen müssen. Hier werden zum Beispiel Taschen, Flip Flops und Uhren angeboten, oder man verkauft Nüsse, Obst und Getränke an die Passant:innen. Ständig werden wir im Vorbeigehen angesprochen, weil man erwartet, dass wir das Geld für einen ordentlichen Einkauf bei ihnen hätten. Selten finde ich unter den angebotenen Waren etwas, das tatsächlich mein Interesse weckt. Taxifahrten werden uns ebenfalls laufend angeboten. An der „Strandpromenade“ – den Namen verdient die laute, vielbefahrene Straße direkt am Ferry Terminal eigentlich nicht – werden wir äußerst hartnäckig angesprochen und gefragt, ob wir nicht ein Ticket für die Fähre nach Zanzibar kaufen möchten. Wir spüren die Blicke der Einheimischen sehr deutlich auf uns, weil wir uns durch unsere Hautfarbe hier als wasungu (weiße Europäer:innen) outen. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist das schon am Anfang, da ich in dem oft ernsten Blick auch eine gewisse Skepsis wahrnehme. Wir besichtigen auch die evangelische Kirche, die während der Kolonialzeit von den Deutschen gebaut worden ist und weiterhin von einer deutschen Gemeinde unterstützt wird. Die Orgel ist ganz neu, erzählt uns ein Mann, der anscheinend irgendeine offizielle Funktion in der Kirchengemeinde innehat. Eigentlich wollen wir uns den Kirchenraum nur kurz ansehen, aber er verwickelt uns in ein Gespräch und will uns die Kirche zeigen. Wir wehren uns nicht und folgen ihm bis hoch in den Glockenturm, von wo aus sich uns ein wunderbarer Blick über das emsige Treiben im Stadtzentrum bietet. Als wir wieder unten sind, bittet er uns um eine Spende für die Kirche, die wir gerne in einen Umschlag stecken, den er uns entgegenstreckt. Als wir gehen wollen, hält er uns auf und fragt „And what about me? Coca Cola?“. Ich bin ein wenig enttäuscht, aber wir geben ihm 2000 Schilling. Er schaut ebenfalls enttäuscht, obwohl man sich als Local von 2000 Schilling definitiv eine Cola kaufen kann, und die Verabschiedung fällt nicht mehr so herzlich aus. Während unseres Aufenthalts in Dar Es Salaam denke ich, dass das Leben für die Leute sehr anstrengend sein muss, ohne festes Gehalt jeden Tag auf gute Geschäfte angewiesen zu sein. Mir fällt auch auf, wie stark die Straßen tagsüber bevölkert sind. Überall sitzen oder stehen Menschen, die keiner für uns offensichtlichen Tätigkeit nachgehen. Manche begrüßen uns mit „Msungu, hello my friend!“ Ein einheimischer Taxifahrer erzählt mir später, dass dies auch ein Stück weit die Kultur Tansanias sei und viele Menschen diese Lebensweise bevorzugen würden. Letztlich wissen wir es nicht und lassen die Eindrücke auf uns wirken. Tim, der ja schon einmal in Tansania war, sagt mir, dass sich die ländlichen Regionen des Landes sehr von dem städtischen unterscheiden.

Von Dar Es Salaam nach Ilembula

Wir bereiten uns auf unsere Abreise aus Dar Es Salaam vor. Unseren ersten Zwischenstopp auf dem Weg nach Liuli machen wir in Ilembula. Wir besuchen dort das Ehepaar Kronenberg; er Chirurg, sie Pfarrerin, beide dem Land seit den 90er Jahren verbunden. Von 1996 bis 2000 lebten und wirkten sie dort mit ihrer Familie. Seit 2019 leben und arbeiten sie wieder in Ilembula, diesmal ohne die drei schon erwachsenen Kinder.

Wir machen uns früh morgens auf den Weg zum Busbahnhof Mbezi in Dar Es Salaam. Um 04:00 Uhr ist reporting time, um 04:30 Uhr soll der Bus fahren. Wir nehmen ein Taxi, das wir sicherheitshalber am Vortag auf 03:00 Uhr zum Hotel bestellt haben. Trotz der Uhrzeit kann man nicht gerade sagen, dass der Busbahnhof ausgestorben ist. 04:00 Uhr scheint eine beliebte Reisezeit in Tansania zu sein. Woran das liegt, werde ich später erleben. Wir bitten den Taxifahrer uns bis zum Bus zu bringen, denn mit Englisch kommt man hier abseits der Innenstadt nicht mehr so weit. Und weil in jeder der mindestens 50 Parkbuchten ein Bus steht, aber nirgendwo Schilder auf das Reiseziel hinweisen, sind wir auf die Hilfe der Watanzania angewiesen. Tatsächlich führt uns der Fahrer zu der einen Parkbucht, in der kein Bus parkt. Wir bedanken uns und warten. Lange, denn der Bus kommt nicht zur angekündigten reporting time, sondern ganze 1,5 Stunden später. Allerdings fahren immer wieder Busse in Richtung Mbeya los, nur eben von anderen Busgesellschaften. Mehrmals müssen wir auf Swahili fragen, ob das unser Bus ist. Alle zwei Minuten kommt ein:e Händler:in auf uns zu und bietet uns verschiedene Waren an, hauptsächlich Kopfhörer, Schuhe, Taschen oder Snacks. Nach einem vernünftigen Frühstück halte ich vergebens Ausschau. Als der richtige Bus endlich da ist, verstauen wir unser Gepäck und nehmen unsere Sitzplätze ein. Der Bus ist voll, es schallt laute afrikanische Musik aus dem Radio und irgendwo im Einstiegsbereich piept es permanent, aber wir ziehen unsere Schlafmasken über die Augen, Tim legt zusätzlich Ohropax ein, und wir nicken ein. Als wir wieder zu uns kommen, haben wir die Stadt längst hinter uns gelassen. Rechts von uns zieht eine Landschaft aus fremdartigen Bäumen und Sträuchern vorbei, Menschen und Motorräder bevölkern die Dörfer, die wir passieren. Das Leben findet hier auf der Straße statt. Unser Bus macht die unmöglichsten Überholmanöver, um die vielen Trucks zu überholen, die vor allem petrol in abgelegene Regionen Tansanias und in die Nachbarländer transportieren. Die Straße ist die einzige Verbindung zwischen Inland und dem Hafen von Dar Es Salaam und ist dementsprechend vielbefahren. Tansanische Reisebusse haben keine Toilette. Nach ca. 4,5 Stunden halten wir zum ersten Mal. Wie lange wir Zeit haben, wissen wir nicht genau, aber wir eilen zum chooni und kaufen uns schnell ein kleines Frühstück. Wir schaffen es rechtzeitig zurück zum Bus, bevor er losfährt. Tim musste bei früheren Reisen auch schon eilig in rollende Busse einsteigen. Wir setzen unsere Reise fort. Dabei passieren wir auch den Mikumi Nationalpark und erleben, warum Safari auf Swahili einfach nur Reise heißt. Wir sehen Giraffen, Zebras, Gnus, Antilopen und Affen. Hinter Mikumi wird die Landschaft bergiger, die Straße kurviger und die Überholmanöver noch waghalsiger. Wir schaffen es trotzdem nach Iringa, wo wir erneut für wenige Minuten halten, und erreichen schließlich, nach 12-stündiger Reise – mir ist inzwischen klar, warum die Busse so früh aus Dar abfahren – die Ortschaft Halali, wo wir von Werner Kronenberg abgeholt und nach Ilembula mitgenommen werden.

Lutherisches Krankenhaus Ilembula

Wir fühlen uns sehr herzlich aufgenommen bei Familie Kronenberg. Wir freuen uns darauf, Werner einen ganzen Tag bei seiner Arbeit als Chirurg zu begleiten und eine Führung durch sämtliche Abteilungen des Krankenhauses zu bekommen. Wir beginnen den Tag mit einem gemeinsamen Chai ya asubuhi und gehen anschließend zur Morgenandacht in die Krankenhauskapelle, zur ärztlichen Frühbesprechung und schließlich zur Visite der chirurgischen Patient:innen auf der Intensivstation, chirurgischen Kinder-, Männer- und Frauenstation. Ilembula Hospitali ist deutlich größer und viel besser ausgestattet als das St. Anne’s Krankenhaus in Liuli, das endgültige Ziel unserer langen Reise. Es gibt zum Beispiel ein Labor, in dem unter anderem Blutbilder, mikrobiologische und parasitologische Analysen durchgeführt werden, eine Blutbank mit Konserven zur Transfusion, eine gut sortierte Apotheke mit großem Sortiment und ein digitales Röntgengerät, das Röntgenbilder in beeindruckender Qualität ausgibt. Wir schauen uns gemeinsam mit Werner eine ganze Menge an Frakturen im Röntgenbild an, denn Verkehrsunfälle, vor allem mit dem Motorrad, sind hier an der Tagesordnung. Operiert werden muss nur manchmal, vieles kann konservativ mit einem Gips gelöst werden. Ich beschließe, dass ich wirklich niemals auf ein tansanisches Motorrad-Taxi steigen werde. Als wir so über das Gelände geführt werden, fällt uns auf, dass einige Gebäude sehr modern sind, beispielsweise der neue Operationstrakt mit zwei OP-Sälen. Wir merken, dass wir noch viel über die Bewerbung um Fördergelder in Deutschland lernen müssen. Tim, der das Krankenhaus in Liuli schon seit 2019 kennt, stellt ununterbrochen Fragen über die Versorgungsmöglichkeiten und Ressourcen des Ilembula Hospitali. Wir wollen so viel Wissen wie möglich mit nach Liuli nehmen, um dabei zu helfen, die medizinische Versorgung zu verbessern. Wir treffen außerdem eine ganze Menge sehr freundlicher Tansanier im Krankenhaus, die uns mit einem Karibuni sana in Ilembula willkommen heißen. Zu unserem Glück spricht man in tansanischen Krankenhäusern Englisch miteinander, nur die Patient:innen sprechen häufig ausschließlich Swahili.

Im Laufe des Tages wirft Werner uns auch ein paar Mal in die Rolle des Arztes und der Ärztin. Wir untersuchen einen alten Mann mit akuten Bauchschmerzen und entscheiden, dass er zunächst beobachtet werden soll, da wir eine Verstopfung für wahrscheinlicher halten als einen Darmverschluss, obwohl das Röntgenbild schon ein bisschen dramatischer aussieht. Im Verlauf stellt sich heraus, dass die Entscheidung genau richtig war, denn der Mann kann abführen und die Schmerzen lassen nach. Danach gipsen wir gemeinsam eine Unterschenkelfraktur. Einmal knobeln wir sehr über den Fall einer 18-jährigen Patientin mit Schwellung des rechten Unterarmes und der Hand, die schon seit drei Wochen besteht. Die Schmerzen haben nach einem Sturz begonnen, aber das Röntgenbild zeigt keine Fraktur. Sobald man die Patientin dort nur leicht berührt, leidet sie unerträgliche Schmerzen. Eine Infektion erscheint uns unwahrscheinlich, da die Haut intakt ist (keine Eintrittspforte für Bakterien) und der Arm nicht überwärmt ist. Etwas rheumatologisches vielleicht? Oder das seltene Complex regional pain syndrom? Solche Patient:innen fallen häufig durch das Raster. Wir können die Diagnose nicht abschließend sichern, verschreiben der Patientin aber starke Schmerzmittel und Prednisolon, und Werner bittet um Wiedervorstellung nach zwei Wochen. Später kommt Tim in den Genuss, bei einer proktologischen Operation zu assistieren, und Werner lässt mich einen Abszess an der Brust eröffnen. Am Ende des Tages sind wir müde, aber überaus zufrieden und gefüllt mit so vielen neuen Eindrücken, die unsere Vorfreude auf Liuli nur noch größer machen.

Von Ilembula nach Songea

Die Reise nach Liuli geht weiter. Obwohl der Physiotherapeut des Krankenhauses vorab für uns Sitzplätze für den 08:30 Uhr Bus reserviert hat, fahren eine Reihe von Bussen der Reisegesellschaft Super Feo Express erst mal an uns vorbei – zu voll. Wir müssen nochmal im Krankenhaus anrufen, um erneut eine Reservierung zu kriegen, und können schließlich um 11:40 Uhr in einen Bus einsteigen. In Ermangelung an Sitzplätzen nehme ich auf der Sitzmatte im Eingangsbereich Platz und hoffe, dass der Bus keine Vollbremsung machen muss. Nach circa 40 Minuten hält der Bus zum ersten Mal und ich kann einen freiwerdenden Sitzplatz ergattern. Die nächsten vier Stunden fahren wir durch unberührte, bergige Landschaften, nur selten unterbrochen von kleinen Dörfern mit Wellblech-gedeckten Häuschen. Hier gibt es dann ganz kurz Handynetz. Da im Bus kaum jemand Englisch zu sprechen scheint, entsteht bei der Anfahrt auf Songea Verwirrung darüber, an welcher Haltestelle wir aussteigen müssen. Wir steigen schließlich wahllos beim zweiten Halt aus und finden uns auf einer staubigen Straße mit Geschäften und vor allem vielen Motorrädern wieder, deren Besitzer uns sofort mitsamt unserem Gepäck aufladen und transportieren wollen. Wir bestehen auf den Transport in einem bajaji (Tuk Tuk), woraufhin sogleich eines für uns herangeschafft wird.

Wir werden drei Nächte in Songea bleiben und buchen uns in einem Hotel ein, das uns der Krankenhaussekretär von Liuli als nice and cheap schmackhaft gemacht hat. Cheap ist es auf jeden Fall – 15.000 Schilling pro Nacht (ca. 5,50 €) – aber leider gibt es kein fließendes Wasser im Badezimmer und die Toilette ist traditionell tansanisch, das heißt wir nehmen mit einem Loch im Boden vorlieb, das an ein Abwasserrohr angeschlossen ist. Man bringt uns aber sogleich einen riesigen grünen Eimer mit warmem Wasser herbei, das dem Geruch in der Luft nach zu urteilen gerade über dem Feuer erhitzt worden ist, und einen kleinen Schöpfeimer zum Spülen, duschen und Hände waschen. Angesichts der faustgroßen Löcher im Moskitonetz (immerhin gibt es aber eins!) sind wir froh über unsere Malaria-Prophylaxe.

Songea

Wir treffen uns mit Dr. Ndimbo zum chai ya asubuhi in unserem neuen Stammrestaurant, wo wir nun alle Mahlzeiten einnehmen. Er begrüßt uns herzlich mit einer Umarmung und wir lernen uns ein wenig kennen. Dr. Ndimbo stammt aus Liuli und hat seine medizinische Karriere nicht nur dort begonnen, sondern auch viele Jahre als general doctor am St. Anne’s Hospital praktiziert. Er weiß ungemein viel über Liuli, die Entstehung und Entwicklung des Krankenhauses und teilt seine Erfahrungen gerne mit uns. Wir stellen eine Frage nach der anderen, um uns ein Bild zu machen. Wie haben sich die Tropenerkrankungen in der Region entwickelt? Der Arzt erzählt uns, dass sie Cholera, Denguefieber, Lepra, Onchozerkose oder Schistosomiasis inzwischen nur noch sehr selten zu Gesicht bekommen. Auch die klassischen Kinderkrankheiten, zu denen unter anderem die Masern gehören, ebenso wie Tetanus, Diphtherie und viele weitere impfpräventable Krankheiten kommen hier kaum noch vor, da Neugeborene zügig nach der Geburt geimpft werden. Ich lerne außerdem, dass die Bevölkerung jährlich eine Einmaldosis eines Medikaments gegen Parasiten erhält. Im Kontrast dazu ist Malaria weiterhin der häufigste Behandlungsgrund im St. Anne’s Hospital, aber davon erzähle ich, wenn wir in Liuli angekommen sind.

Nach dem Frühstück zeigt uns Dr. Ndimbo das Songea Regional Referral Hospital. Hier bin ich nun wirklich beeindruckt von den Ressourcen des Krankenhauses. Es gibt ein tolles Labor, wo sogar spezielle Hormonuntersuchungen durchgeführt werden können. Ein Computertomograph wurde ganz neu angeschafft. Es gibt eine Zahnarztpraxis, die sogar mit einem Zahn-Röntgengerät ausgestattet ist. Man merkt, dass die Regierung in dieses staatliche Haus richtig viel investiert, und ich freue mich für die Bewohner Songeas. Von derlei Ausstattung können wir an dem kirchlich-anglikanischen Krankenhaus in Liuli nur träumen, dort haben wir noch nicht einmal eine stabile Stromversorgung und die Dächer sind undicht. Ich denke mir, dass die medizinische Versorgung wirklich sehr ungleich verteilt ist.

Nachdem wir viele Hände geschüttelt und unzählige Fragen gestellt haben, zeigt uns Dr. Ndimbo seine Wirkungsstätte, nämlich die School of clinical officers, eine Berufsgruppe, die irgendwo zwischen Krankenpflege und ärztlichem Personal angesiedelt ist. Dort sprechen wir mit Dr. Ndimbo und dem stellvertretenden Schulleiter über eines der größten Probleme Liulis, nämlich den Personalmangel. Das Dorf ist so abgelegen, dass die meisten Ärzte nicht länger als zwei Jahre bleiben. Die beiden derzeit tätigen Ärzte sind zudem nicht bei der Regierung angestellt, weshalb das Krankenhaus ihr Gehalt selbst erwirtschaften muss, ein schwieriges Unterfangen wie wir wissen. Liuli mag abgelegen sein, dafür gibt es aber einen direkten Strandzugang zum wunderschönen Lake Nyasa, werfen wird ein, aber da lächeln Dr. Ndimbo und der Schulleiter nur milde. Die beiden berichten uns auch von einer hohen Arbeitslosenquote unter Ärzt:innen in Tansania. Wir verstehen nicht, warum die arbeitslosen Ärzt:innen nicht für etwas weniger Geld in Liuli arbeiten wollen anstatt gar nicht ärztlich tätig zu sein. So richtig können oder wollen sie uns das nicht erklären, sondern sprechen von finanziellen incentives, um Ärzt:innen aus Songea für wenige Tage oder Wochen nach Liuli zu locken. Wir lassen die Informationen erst einmal auf uns wirken und konzentrieren uns wieder mehr auf die School of clinical officers. Die Ausbildung dauert drei Jahre und hat, ähnlich wie in Deutschland, sowohl theoretische als auch praktische Einheiten. Die Schüler:innen bekommen ein relativ umfassendes Bild von vielen verschiedenen Fachgebieten der Medizin, scheint mir. Es gehe nur nicht so sehr ins Detail wie im Medizinstudium, wird uns erklärt. Die größte Schwierigkeit an der Schule sei im Moment das Fehlen von Computern, die dringend für die Lehre benötigt werden. Dr. Ndimbo und der Schulleiter bitten uns deshalb, unsere Kontakte in Deutschland zu nutzen um Spender:innen für zwei Laptops zu finden. Am Ende treffen wir die Abschlussklasse, die in wenigen Wochen ihre Prüfungen absolvieren muss. Wir werden sehr herzlich und begeistert empfangen und um ein Gruppenfoto gebeten, eine Bitte der wir gerne nachkommen.

Wir nutzen unseren Zwischenstopp in Songea auch, um Dr. Hinju zum Abendessen in unserem Stammlokal zu treffen. Er ist Augenarzt und fühlt sich Liuli ebenfalls sehr verbunden. Wir wollen ihn eigentlich dazu einladen, dem St. Anne’s Krankenhaus regelmäßig Besuch abzustatten und Patient:innen zu behandeln, da es in der Gegend um Liuli gar keine:n Augenspezialist:in gibt. Aber Dr. Hinju erzählt uns, dass ein solcher Besuch bereits in Planung ist, und wir freuen uns sehr über diese Neuigkeiten. Augenerkrankungen sind in und um Liuli sehr häufig. Viele Menschen leiden unter Einschränkungen des Sehens, einen Zugang zu Sehhilfen gibt es aber meistens nicht. Dr. Hinju und sein Team sind daher ein großer Gewinn für das St. Anne’s Hospital.

An unserem letzten Tag in Songea treffen wir Mr. Gift, den Krankenhaussekretär, der mit uns einige Besorgungen in Songea erledigt. Wir kaufen ein paar Ausstattungsgegenstände für das Doctors House, in dem auch wir die nächsten zwei Monate leben werden. Danach gehen wir gemeinsam in eine Apotheke, um eine Großbestellung an Medikamenten und Krankenhausmaterialien aufzugeben. Tim erkundigt sich ganz genau, welche Medikamente in der Apotheke vertrieben werden, und wir kaufen auch einige Präparate, die nicht auf Mr. Gifts Liste stehen, zum Beispiel Oxytocin intravenös zur Behandlung von starken Blutungen nach einer Geburt. Als wir die Bestellung am Ende prüfen, fehlt einiges und muss noch von den Mitarbeitern der Apotheke herangeschafft werden. Allerdings sind auch Sachen dabei, die wir überhaupt nicht oder zumindest nicht in der Menge bezahlt haben, also hält es sich ganz gut die Waage. Am Ende geben wir tansanische Schilling im Millionenbereich aus. Wir bepacken den Jeep, den Mr. Gift nach Songea gebracht hat, und unser Gepäck muss auf das Dach geschnürt werden, damit hinten genug Platz für die Medikamente und für uns ist. Die Besorgungen machen wir in Songea, da es in Liuli keine große Apotheke gibt, nur die winzigen Duka La Dawa (auf Deutsch Laden der Medizin), die aber eher als eine Art Mini-Drogerie gesehen werden muss. Auch Geldautomaten gibt es in Liuli nicht, sodass wir uns an den Automaten eindecken, bis das Tageslimit erreicht ist.

Nach dem Shopping-Trip fahren wir noch in die anglikanische Diozöse, um den Bischof von Ruvuma höchst persönlich zu treffen. Wie sich herausstellt, ist der Bischof ein wahnsinnig freundlicher, höflicher und umsichtiger Mensch. Er bedankt sich ausgiebig bei den Friends of St. Anne’s für alle Unterstützung in den letzten Jahren. Er würdigt außerdem, dass Tim ein außergewöhnlicher, hochmotivierter und engagierter Erster Vorstand des Vereins sei, und da muss ich dem Bischof mehr als Recht geben. Wir verabreden uns mit ihm für ein weiteres Treffen im September, bei dem wir über neue Projekte am Krankenhaus sprechen wollen.

Am Nachmittag steigen wir in den vollbepackten Jeep und fahren gen Süden. Endlich haben wir unser Endziel, Liuli, in Aussicht. Bald hinter Songea wird die Umgebung wieder bergiger und die Straße kurviger, aber auch weniger belebt. Wir klettern immer höher unter einer schon im Westen stehenden Sonne und ich stelle fest, dass die Gegend wirklich wunderschön ist. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Tansania habe ich das Gefühl, dass die Natur hier noch über den Menschen herrscht, und nicht andersherum. Mir fällt erst jetzt auf, dass mich einiges an den Städten wirklich gestört hat, nämlich der Müll, die überfüllten Straßen und die ständige Alarmbereitschaft um nicht von einem vorbeirasenden Motorrad oder Auto angefahren zu werden. Wir passieren kleine verschlafene Dörfer; dazwischen erstrecken sich in der hügeligen Landschaft landwirtschaftlich genutzte Flächen. Die untergehende Sonne wirft ein wunderschönes Licht auf die Hänge, die in Braun-, Rot-, Gelb- und Grüntönen aufleuchten. Hinter Mbamba Bay verwandelt sich die asphaltierte Straße in einen staubigen Erd-Schotter-Weg. Den Fahrer scheint das nicht zu stören, denn er brettert mit derselben Geschwindigkeit weiter voran. Es sind nun nur noch wenige Kilometer bis Liuli, sagt man mir. Die Sonne geht gerade über dem Nyasa-See unter und ich freue mich wirklich riesig, dass ich die nächsten zwei Monate so viele schöne Sonnenuntergänge sehen kann. Kurz bevor wir ankommen, erlebe ich noch kurz Bali-Vibes, obwohl ich noch nie auf Bali war, denn rechts und links vom Weg erstrecken sich Reisfelder so weit das Auge reicht. Endlich kommen wir in Liuli an. Die Sonne ist schon vollständig untergegangen. Wir werden am Doctors House bereits erwartet und man hilft uns, das Gepäck und die Medikamentenkisten auszuladen. Es sind noch zwei Medizinstudentinnen aus Wien im Doctors House, mit denen wir ein wenig quatschen und ein leckeres tansanisches Abendessen einnehmen, bevor wir müde in unser Bett fallen.