Songea

Von Ilembula nach Songea

Die Reise nach Liuli geht weiter. Obwohl der Physiotherapeut des Krankenhauses vorab für uns Sitzplätze für den 08:30 Uhr Bus reserviert hat, fahren eine Reihe von Bussen der Reisegesellschaft Super Feo Express erst mal an uns vorbei – zu voll. Wir müssen nochmal im Krankenhaus anrufen, um erneut eine Reservierung zu kriegen, und können schließlich um 11:40 Uhr in einen Bus einsteigen. In Ermangelung an Sitzplätzen nehme ich auf der Sitzmatte im Eingangsbereich Platz und hoffe, dass der Bus keine Vollbremsung machen muss. Nach circa 40 Minuten hält der Bus zum ersten Mal und ich kann einen freiwerdenden Sitzplatz ergattern. Die nächsten vier Stunden fahren wir durch unberührte, bergige Landschaften, nur selten unterbrochen von kleinen Dörfern mit Wellblech-gedeckten Häuschen. Hier gibt es dann ganz kurz Handynetz. Da im Bus kaum jemand Englisch zu sprechen scheint, entsteht bei der Anfahrt auf Songea Verwirrung darüber, an welcher Haltestelle wir aussteigen müssen. Wir steigen schließlich wahllos beim zweiten Halt aus und finden uns auf einer staubigen Straße mit Geschäften und vor allem vielen Motorrädern wieder, deren Besitzer uns sofort mitsamt unserem Gepäck aufladen und transportieren wollen. Wir bestehen auf den Transport in einem bajaji (Tuk Tuk), woraufhin sogleich eines für uns herangeschafft wird.

Wir werden drei Nächte in Songea bleiben und buchen uns in einem Hotel ein, das uns der Krankenhaussekretär von Liuli als nice and cheap schmackhaft gemacht hat. Cheap ist es auf jeden Fall – 15.000 Schilling pro Nacht (ca. 5,50 €) – aber leider gibt es kein fließendes Wasser im Badezimmer und die Toilette ist traditionell tansanisch, das heißt wir nehmen mit einem Loch im Boden vorlieb, das an ein Abwasserrohr angeschlossen ist. Man bringt uns aber sogleich einen riesigen grünen Eimer mit warmem Wasser herbei, das dem Geruch in der Luft nach zu urteilen gerade über dem Feuer erhitzt worden ist, und einen kleinen Schöpfeimer zum Spülen, duschen und Hände waschen. Angesichts der faustgroßen Löcher im Moskitonetz (immerhin gibt es aber eins!) sind wir froh über unsere Malaria-Prophylaxe.

Songea

Wir treffen uns mit Dr. Ndimbo zum chai ya asubuhi in unserem neuen Stammrestaurant, wo wir nun alle Mahlzeiten einnehmen. Er begrüßt uns herzlich mit einer Umarmung und wir lernen uns ein wenig kennen. Dr. Ndimbo stammt aus Liuli und hat seine medizinische Karriere nicht nur dort begonnen, sondern auch viele Jahre als general doctor am St. Anne’s Hospital praktiziert. Er weiß ungemein viel über Liuli, die Entstehung und Entwicklung des Krankenhauses und teilt seine Erfahrungen gerne mit uns. Wir stellen eine Frage nach der anderen, um uns ein Bild zu machen. Wie haben sich die Tropenerkrankungen in der Region entwickelt? Der Arzt erzählt uns, dass sie Cholera, Denguefieber, Lepra, Onchozerkose oder Schistosomiasis inzwischen nur noch sehr selten zu Gesicht bekommen. Auch die klassischen Kinderkrankheiten, zu denen unter anderem die Masern gehören, ebenso wie Tetanus, Diphtherie und viele weitere impfpräventable Krankheiten kommen hier kaum noch vor, da Neugeborene zügig nach der Geburt geimpft werden. Ich lerne außerdem, dass die Bevölkerung jährlich eine Einmaldosis eines Medikaments gegen Parasiten erhält. Im Kontrast dazu ist Malaria weiterhin der häufigste Behandlungsgrund im St. Anne’s Hospital, aber davon erzähle ich, wenn wir in Liuli angekommen sind.

Nach dem Frühstück zeigt uns Dr. Ndimbo das Songea Regional Referral Hospital. Hier bin ich nun wirklich beeindruckt von den Ressourcen des Krankenhauses. Es gibt ein tolles Labor, wo sogar spezielle Hormonuntersuchungen durchgeführt werden können. Ein Computertomograph wurde ganz neu angeschafft. Es gibt eine Zahnarztpraxis, die sogar mit einem Zahn-Röntgengerät ausgestattet ist. Man merkt, dass die Regierung in dieses staatliche Haus richtig viel investiert, und ich freue mich für die Bewohner Songeas. Von derlei Ausstattung können wir an dem kirchlich-anglikanischen Krankenhaus in Liuli nur träumen, dort haben wir noch nicht einmal eine stabile Stromversorgung und die Dächer sind undicht. Ich denke mir, dass die medizinische Versorgung wirklich sehr ungleich verteilt ist.

Nachdem wir viele Hände geschüttelt und unzählige Fragen gestellt haben, zeigt uns Dr. Ndimbo seine Wirkungsstätte, nämlich die School of clinical officers, eine Berufsgruppe, die irgendwo zwischen Krankenpflege und ärztlichem Personal angesiedelt ist. Dort sprechen wir mit Dr. Ndimbo und dem stellvertretenden Schulleiter über eines der größten Probleme Liulis, nämlich den Personalmangel. Das Dorf ist so abgelegen, dass die meisten Ärzte nicht länger als zwei Jahre bleiben. Die beiden derzeit tätigen Ärzte sind zudem nicht bei der Regierung angestellt, weshalb das Krankenhaus ihr Gehalt selbst erwirtschaften muss, ein schwieriges Unterfangen wie wir wissen. Liuli mag abgelegen sein, dafür gibt es aber einen direkten Strandzugang zum wunderschönen Lake Nyasa, werfen wird ein, aber da lächeln Dr. Ndimbo und der Schulleiter nur milde. Die beiden berichten uns auch von einer hohen Arbeitslosenquote unter Ärzt:innen in Tansania. Wir verstehen nicht, warum die arbeitslosen Ärzt:innen nicht für etwas weniger Geld in Liuli arbeiten wollen anstatt gar nicht ärztlich tätig zu sein. So richtig können oder wollen sie uns das nicht erklären, sondern sprechen von finanziellen incentives, um Ärzt:innen aus Songea für wenige Tage oder Wochen nach Liuli zu locken. Wir lassen die Informationen erst einmal auf uns wirken und konzentrieren uns wieder mehr auf die School of clinical officers. Die Ausbildung dauert drei Jahre und hat, ähnlich wie in Deutschland, sowohl theoretische als auch praktische Einheiten. Die Schüler:innen bekommen ein relativ umfassendes Bild von vielen verschiedenen Fachgebieten der Medizin, scheint mir. Es gehe nur nicht so sehr ins Detail wie im Medizinstudium, wird uns erklärt. Die größte Schwierigkeit an der Schule sei im Moment das Fehlen von Computern, die dringend für die Lehre benötigt werden. Dr. Ndimbo und der Schulleiter bitten uns deshalb, unsere Kontakte in Deutschland zu nutzen um Spender:innen für zwei Laptops zu finden. Am Ende treffen wir die Abschlussklasse, die in wenigen Wochen ihre Prüfungen absolvieren muss. Wir werden sehr herzlich und begeistert empfangen und um ein Gruppenfoto gebeten, eine Bitte der wir gerne nachkommen.

Wir nutzen unseren Zwischenstopp in Songea auch, um Dr. Hinju zum Abendessen in unserem Stammlokal zu treffen. Er ist Augenarzt und fühlt sich Liuli ebenfalls sehr verbunden. Wir wollen ihn eigentlich dazu einladen, dem St. Anne’s Krankenhaus regelmäßig Besuch abzustatten und Patient:innen zu behandeln, da es in der Gegend um Liuli gar keine:n Augenspezialist:in gibt. Aber Dr. Hinju erzählt uns, dass ein solcher Besuch bereits in Planung ist, und wir freuen uns sehr über diese Neuigkeiten. Augenerkrankungen sind in und um Liuli sehr häufig. Viele Menschen leiden unter Einschränkungen des Sehens, einen Zugang zu Sehhilfen gibt es aber meistens nicht. Dr. Hinju und sein Team sind daher ein großer Gewinn für das St. Anne’s Hospital.

An unserem letzten Tag in Songea treffen wir Mr. Gift, den Krankenhaussekretär, der mit uns einige Besorgungen in Songea erledigt. Wir kaufen ein paar Ausstattungsgegenstände für das Doctors House, in dem auch wir die nächsten zwei Monate leben werden. Danach gehen wir gemeinsam in eine Apotheke, um eine Großbestellung an Medikamenten und Krankenhausmaterialien aufzugeben. Tim erkundigt sich ganz genau, welche Medikamente in der Apotheke vertrieben werden, und wir kaufen auch einige Präparate, die nicht auf Mr. Gifts Liste stehen, zum Beispiel Oxytocin intravenös zur Behandlung von starken Blutungen nach einer Geburt. Als wir die Bestellung am Ende prüfen, fehlt einiges und muss noch von den Mitarbeitern der Apotheke herangeschafft werden. Allerdings sind auch Sachen dabei, die wir überhaupt nicht oder zumindest nicht in der Menge bezahlt haben, also hält es sich ganz gut die Waage. Am Ende geben wir tansanische Schilling im Millionenbereich aus. Wir bepacken den Jeep, den Mr. Gift nach Songea gebracht hat, und unser Gepäck muss auf das Dach geschnürt werden, damit hinten genug Platz für die Medikamente und für uns ist. Die Besorgungen machen wir in Songea, da es in Liuli keine große Apotheke gibt, nur die winzigen Duka La Dawa (auf Deutsch Laden der Medizin), die aber eher als eine Art Mini-Drogerie gesehen werden muss. Auch Geldautomaten gibt es in Liuli nicht, sodass wir uns an den Automaten eindecken, bis das Tageslimit erreicht ist.

Nach dem Shopping-Trip fahren wir noch in die anglikanische Diozöse, um den Bischof von Ruvuma höchst persönlich zu treffen. Wie sich herausstellt, ist der Bischof ein wahnsinnig freundlicher, höflicher und umsichtiger Mensch. Er bedankt sich ausgiebig bei den Friends of St. Anne’s für alle Unterstützung in den letzten Jahren. Er würdigt außerdem, dass Tim ein außergewöhnlicher, hochmotivierter und engagierter Erster Vorstand des Vereins sei, und da muss ich dem Bischof mehr als Recht geben. Wir verabreden uns mit ihm für ein weiteres Treffen im September, bei dem wir über neue Projekte am Krankenhaus sprechen wollen.

Am Nachmittag steigen wir in den vollbepackten Jeep und fahren gen Süden. Endlich haben wir unser Endziel, Liuli, in Aussicht. Bald hinter Songea wird die Umgebung wieder bergiger und die Straße kurviger, aber auch weniger belebt. Wir klettern immer höher unter einer schon im Westen stehenden Sonne und ich stelle fest, dass die Gegend wirklich wunderschön ist. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Tansania habe ich das Gefühl, dass die Natur hier noch über den Menschen herrscht, und nicht andersherum. Mir fällt erst jetzt auf, dass mich einiges an den Städten wirklich gestört hat, nämlich der Müll, die überfüllten Straßen und die ständige Alarmbereitschaft um nicht von einem vorbeirasenden Motorrad oder Auto angefahren zu werden. Wir passieren kleine verschlafene Dörfer; dazwischen erstrecken sich in der hügeligen Landschaft landwirtschaftlich genutzte Flächen. Die untergehende Sonne wirft ein wunderschönes Licht auf die Hänge, die in Braun-, Rot-, Gelb- und Grüntönen aufleuchten. Hinter Mbamba Bay verwandelt sich die asphaltierte Straße in einen staubigen Erd-Schotter-Weg. Den Fahrer scheint das nicht zu stören, denn er brettert mit derselben Geschwindigkeit weiter voran. Es sind nun nur noch wenige Kilometer bis Liuli, sagt man mir. Die Sonne geht gerade über dem Nyasa-See unter und ich freue mich wirklich riesig, dass ich die nächsten zwei Monate so viele schöne Sonnenuntergänge sehen kann. Kurz bevor wir ankommen, erlebe ich noch kurz Bali-Vibes, obwohl ich noch nie auf Bali war, denn rechts und links vom Weg erstrecken sich Reisfelder so weit das Auge reicht. Endlich kommen wir in Liuli an. Die Sonne ist schon vollständig untergegangen. Wir werden am Doctors House bereits erwartet und man hilft uns, das Gepäck und die Medikamentenkisten auszuladen. Es sind noch zwei Medizinstudentinnen aus Wien im Doctors House, mit denen wir ein wenig quatschen und ein leckeres tansanisches Abendessen einnehmen, bevor wir müde in unser Bett fallen.